Und der Verfassungsschutz bietet weiter Faschos Schutz

Die These des einsamen Wolfs und verrückten Einzeltäters, die so gern bei rechtsextremistischen Gewalttaten und Terrorakten herangezogen wird, kann im Mordfall des CDU-Politikers Walter Lübcke nicht aufrechterhalten werden. Die Tat muss nicht nur im Kontext der bis zuletzt knallharten Neonazi-Vergangenheit des mutmaßlichen Täters betrachtet werden, sondern auch in der Kontinuität von rassistischer Gewalt seit 1945 in Deutschland und von bundesweiten Neonazi-Strukturen, die bis in Parlamente und Sicherheitsbehörden reichen.

Verfassungsschutzpräsident Haldenwang sagte bei der Pressekonferenz zum Mordfall Lübcke letzten Dienstag, dass der mutmaßliche Mörder Stephan E. zwar eine rechtsextremistische “Karriere” hinter sich hätte, aber seit gut 10 Jahren nicht mehr auffällig gewesen und daher von seiner Behörde auch nicht mehr “schwerpunktmäßig bearbeitet” worden sei. Auf die Nachfrage, ob “nicht schwerpunktmäßig” gleichbedeutend wäre mit “gar nicht”, zögert Haldenwang kurz. Dann sagt jemand anderes (Horst, warst du es?) “vom Bund” und Haldenwang wiederholt ins Mikro “vom Bund, ja” und guckt danach wie ein Kind, das gerade nicht ganz ehrlich war, aber auch nicht ganz gelogen hat.

Mir fallen zwei mögliche Gründe dafür ein: Entweder, das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Hessen hat ihn auch nicht mehr bearbeitet, was einige Fragen aufwerfen würde, zum Beispiel warum ein u.a. wegen versuchten Totschlags vorbestrafter, gewaltbereiter Neonazi in einer Stadt, in der ein NSU-Mord begangen wurde, die Sicherheitsbehörden überhaupt nicht interessierte. Oder das LfV Hessen hat ihn bearbeitet, was ähnlich viele Fragen aufwerfen würde, zum Beispiel wie er dann unbemerkt einen Mord begehen konnte, was das LfV über ihn wusste und warum es offiziell seit 2009 keinen Akteneintrag zu ihm gibt. Praktisch, dass bei der Pressekonferenz niemand aus Hessen da war.

Haldenwangs Aussage, dass Stephan E. die letzten Jahre nicht mehr auffällig gewesen sei, gibt aber noch mehr Anlass für Zweifel: Monitor berichtet, dass Stephan E. im März dieses Jahres (!) bei einem Treffen der Neonazi-Organisation Combat 18 teilgenommen habe, das ist eine europaweit agierende neonazistische Terror-Organisation und der bewaffnete Arm vom (verbotenen) Blood & Honour-Netzwerk, das als zentrales Unterstützungsorgan vom NSU gilt. Was wäre besorgniserregender: Wenn der Verfassungsschutz nichts von einem Treffen von 200 gewaltbereiten Neonazis mitbekommen hätte (Polizei war da, hat sie aber trotz strafbarer Symbole in Ruhe gelassen), obwohl es Fotos davon gibt, die sich in wenigen Tagen recherchieren lassen? Oder wenn der Verfassungsschutz mal wieder gelogen hat?  (*edit* der Spiegel berichtet am 24.06.2019, dass es sich bei den Fotos evtl. um eine Verwechselung handelt)

nix gesehn

Naja gut, so ein kleines Neonazi-Treffen. Tut ja niemandem weh erst mal. Und war ja schließlich auch in Sachsen. Sonst hat der aber wirklich nichts gemacht. Ok, außer evtl. in sozialen Medien Sachen geschrieben wie: “Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben” (Youtube, 2018). Aber das war ja nur online, das heißt ja heutzutage wirklich nichts mehr und das wussten wir auch gar nicht. Na gut, vielleicht ist sein Name 2016 einmal während einer Befragung im NSU-Untersuchungsausschuss gefallen und evtl. hat dieser danach seine Akten angefordert, aber die haben wir denen lieber nicht gegeben. Wo kämen wir da auch hin, wenn wir jetzt jeden straffällig gewordenen Neonazi, der irgendwas mit dem NSU zu tun hat und irgendwann mal ein Asylheim in die Luft sprengen und einen Ausländer töten wollte, pauschal verdächtigen würden. Und what überhaupt about Rigaer Straße, Islamisten, Fridays for Future. Wer soll das alles bezahlen?

die große lücke

Als Halit Yozgat 2006 in einem Internetcafé in Kassel vom NSU ermordet wurde, hielt sich Andreas Temme, Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, im selben Café auf und gab später an, er hätte den Toten und das Blut beim Verlassen des Cafés nicht gesehen. Gegen ihn wurde zwar ermittelt, aber das Verfahren wieder eingestellt, obwohl er über den Mord im Voraus informiert worden sein soll. Er hatte auch ein Exemplar von “Mein Kampf” zu Hause rumliegen. Die Person, die bei der Befragung im Untersuchungsausschuss angab einen NPD-Stephan zu kennen, war ein V-Mann von Temme. Dieser wurde nach dem Fall versetzt, ins Präsidium von Walter Lübcke. Und das LfV Hessen sperrte daraufhin die NSU-Akten (auch Akten zu Temme) für absurde 120 Jahre weg.

120 Jahre sind eine sehr große Lücke für eine “lückenlose Aufklärung” des NSU und rechtsextremer Strukturen in der BRD. Ob der LfV seine bezahlten Nazis (V-Leute) und/oder sich selbst dadurch schützen wollte und will, bleibt erstmal ungewiss. Doch das könnte sich bald ändern: Politiker*innen fordern nun zu Recht, dass die hessischen NSU-Akten freigegeben werden, um sie auf mögliche Bezüge zu Stephan E. zu überprüfen. Wenn das LfV Hessen das weiterhin verhindert, sollte es nicht darüber entscheiden dürfen.

kontinuitäten sehen & stören

Unteilbar-Demo 13.10.2018, Berlin

Letzten Mittwoch erhielten Redaktionen und Politiker*innen einen Drohbrief, in dem der Mord an Lübcke als Beginn “bevorstehender Säuberungen” bezeichnet wird. Henriette Reker und andere Politiker*innen erhielten wieder Morddrohungen (was für sehr viele Menschen, die sich antifaschistisch engagieren, leider auf der Tagesordnung steht). So wie die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, die seit 2018 Drohbriefe erhält, die mit “NSU 2.0” unterzeichnet sind. Ihre persönlichen Daten wurden damals von einer Beamtin der Frankfurter Polizei abgerufen, die Teil einer rassistischen Chatgruppe war, was zum Hessischen Polizeiskandal führte. Derzeit laufen 38 Ermittlungen gegen Beamt*innen in Hessen.

Es ist jetzt wichtig, nach Hessen zu schauen und Druck zu machen. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass es in der gesamten BRD seit Jahrzehnten Neonazi-Strukturen gibt, die z.T. überregional und international vernetzt sind und in deutsche Sicherheitsbehörden reichen. Seit 1990 wurden laut der Amadeu Antonio Stiftung 196 Menschen Todesopfer rechter Gewalt. In Mecklenburg-Vorpommern wurden letzte Woche mehrere SEK-Beamte festgenommen, die über Jahre Munition aus dem LKA entwendet haben sollen und Teil eines deutschlandweiten Prepper-Netzwerks sind. Darin bereiten sich u.a. Bundeswehrsoldat*innen, Polizist*innen, Reservist*innen und Securityleute auf einen Tag X vor, an dem die öffentliche Ordnung zusammenbricht, indem sie Kartoffeln, Waffen und Listen mit politischen Gegner*innen horten. Gegen zwei andere Mitglieder der Gruppe namens Nordkreuz (1 Anwalt + 1 Polizist) wird seit 2017 wegen Rechtsterrorismus ermittelt und auch Franco A., der Bundeswehroffizier, der sich als syrischer Geflüchteter ausgegeben hat und rechtsextremistische Anschläge geplant haben soll, war Teil des Netzwerks. Dessen Kopf, der ehemalige KSK-Soldat André S. (“Hannibal”), gründete u.a. zusammen mit einem damaligen Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, Ringo M., den umstrittenen Verein Uniter, ein Sammelbecken für Leute aus Sicherheitskreisen, die z.B. militärtaktische Übungen am Wochenende machen. Ringo M. war vorher Polizist und 2005 in derselben Einheit wie die vom NSU ermordete Michèle Kiesewetter. Ebenfalls Teil der Einheit am Tag des Mordes war Polizist Timo H., ein ehemaliges Ku-Klux-Klan-Mitglied.

Die deutschen Sicherheitsbehörden, deren Auftrag es ist, die Demokratie zu schützen, müssen sich endlich eingestehen, dass sie ein Rassismusproblem in ihren eigenen Reihen haben und beginnen es zu bekämpfen.

ach ja, und:

Während Teile der CDU jetzt schnell die AfD durch ihre Verrohung der Sprache für den Mord mitverantwortlich erklären, schließt die CDU in Sachsen-Anhalt eine Koalition mit der AfD nicht mehr aus: “Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen”. Achso, das Soziale mit dem Nationalen verbinden. Gute Idee, ihr Arschlöcher. A Propos Verrohung der Sprache, Horst Seehofer bei seiner Aschermittwochsrede 2011 so: “Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone”.

Es wurde vielfach bemerkt, dass sich die CDU nach dem Mord an Lübcke auffällig schweigsam gegeben hat. Ein Regierungspräsident wird per Kopfschuss vor seinem eigenen Haus hingerichtet und die eigene Partei bleibt still, das ist schon ziemlich seltsam. Die Gründe dafür sind bestimmt unterschiedlich. Vielleicht haben anfangs Viele noch gehofft, dass es was Privates war und erst mal die Füße still gehalten, weil sie befürchteten, dass es  nichts Privates war. Vielleicht fanden einige seine Haltung in Bezug auf Geflüchtete auch gar nicht so cool und positionieren sich nicht so gern öffentlich gegen rechts (was sollten denn dann die AfD-Wähler*innen denken, die sie abgreifen wollen).

Vielleicht war es bei einigen aber auch einfach Scham. Scham darüber, rechtsextreme Gewalt und Terrorismus nie wirklich ernst genommen zu haben, solange die Opfer davon Migrant*innen, Schwarze, People of Color, Obdachlose und Linke waren. Scham darüber, stattdessen Asyl- und Polizeigesetze verschärft, linke Hausprojekte geräumt, die Rhetorik, Themen und den Kurs der AfD und der hauseigenen Rechtspopulist*innen übernommen und damit zum politischen und gesellschaftlichen Klima beigetragen zu haben, das diese Tat ermöglicht hat und weitere Taten ermöglicht. Vielleicht schweigen einige, weil sie sich schämen, in ihrer Mitverantwortung versagt zu haben, den NSU aufzuklären, nicht nur der Gerechtigkeit wegen oder des Anstands gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen, sondern ganz konkret um weitere Morde und Anschläge zu verhindern. Es wäre zu hoffen.

 

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Quellen & Links:

https://www.youtube.com/watch?v=bov38LC9Edk&t=1542s

https://exif-recherche.org/?p=6284&fbclid=IwAR2XJj9QOzIl4No9Edit8YGf0KLr2RWrTTAriC5GKn9EvYDcEYyNHCfoSUY

https://www.akweb.de/ak_s/ak649/33.htm?fbclid=IwAR35wXwcEPOssQeH9rBCJtNFFXotuXQS4lcxn3IDA656ECHMW0ImaTN-vhI

https://www.nsu-watch.info/2019/06/exif-recherche-tatverdaechtiger-im-fall-luebcke-ist-bekannter-neonazi/

https://www.sueddeutsche.de/politik/luebcke-generalbundesanwalt-verdacht-rechtsextremismus-1.4489278

https://www.stern.de/politik/deutschland/-combat-18—das-neonazi-netzwerk-unter-den-initialen-von-adolf-hitler-8758702.html

https://www.focus.de/politik/deutschland/kriminalitaet-morddrohung-gegen-koelner-oberbuergermeisterin-reker_id_10844827.html

https://taz.de/Rechte-in-Mecklenburg-Vorpommern/!5602749/

https://taz.de/Rechtes-Netzwerk-in-der-Bundeswehr/!5548926/

https://taz.de/Rechtsextreme-in-der-Bundeswehr/!5601769/?fbclid=IwAR1rWYP4lG94iAjDFzKpbloESD4-Dc5evpnB11MKusA-4UWXEbGcFlPXYWU

https://taz.de/taz-Recherche-zu-Hannibal-Verein-Uniter/!5581162/

https://taz.de/Ku-Klux-Klan-in-Baden-Wuerttemberg/!5210324/

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/staatsfeinde-in-uniform-rechtsextremismus-bei-der-polizei-100.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Halit_Yozgat

https://www.fr.de/politik/hessens-abgeordnete-npd-stephan-stiessen-12530789.html

https://twitter.com/StefGeb/status/1141423878868295682

https://www.facebook.com/fickomagazin/posts/10156833009184902

FB-Post Feine Sahne Fischfilet

https://www.youtube.com/watch?v=eJFHiJbYjEY&feature=youtu.be